Was irgend mit Spedition zusammenhing, das war an zwei Namen in der Stadt gebunden. Und jeder wusste Bescheid: Tielsch und Frey. Kein Kompaniegeschäft, sondern freundlich, friedliches Gegenteil.
Die Schuljungen kannten die beiden Firmen schon an den Pferden auseinander. Der Tielsch hatte zwei Paar schwere Pinzgauer, die besonders bei den schweren Möbelwagen im Zuge gingen. Sie machten auf die Jungen einen besonderen Eindruck, da man kaum erlebte, dass sie von den Kutschern geschlagen wurden. Sie waren lammfromm und wenn sie anzogen, dann rollte eben die Fuhre, die andere Pferde überhaupt nicht vom Fleck brachten. Und die gehörten dem Tielsch, der selbst übergroß war, einen Kaiserbart trug, und bei den Schützen als Adjutant auf einem schönen Pferde ritt. Stadtbekannt, Persönlichkeit, Punktum.
Etwas weniger im öffentlichen Vordergrund stand die Leitung der anderen Firma: der Frey Karl. Groß – keine Rede, dafür aber untersetzt. Meist kurze Hosen und Stiefel an, und auf dem Kopf das unvermeidliche Jagerhütel in kräftigem Grün. Unter dem Hutrande ein immer verschlossenes Gesicht. War Tielsch weich und kindergut, so war bei Frey Karl mehr das Cholerische bezeichnend. Aber eines hatten beide gemeinsam: sie waren Nimrode vor dem Herrn. Und das Schießeisen hing immer in greifbarer Nähe.
Die Zeit blieb auch in der stillen Kleinstadt nicht stehen. So musste sich eines Tages selbst der Frey Karl entschließen, um seinen Kunden Rechnung zu tragen, so ein modernes Telefon anzuschaffen. Das waren damals wuchtige Apparaturen, die an der Wand hingen, viel Ähnlichkeit mit einem Meisenkasten oder einer Starmäste hatten, und aus Holz gefertigt waren. Vor dem Starkasten hatten sie den Vorzug, zu passender oder unpassender Zeit zu klingeln. Eine unangenehme Angewohnheit, die diese Art bis heute beibehalten hat. Außerdem war eine Kurbel daran, mit der man (auch aus Langeweile) ein Glockenspiel ertönen lassen konnte.
Oft war an der Maschinerie irgendetwas nicht in Ordnung. Dann kam Besuch vom Amte. Der gute Mann schraubte an dem Kasten herum, füllte die Batterie auf, oder probierte bestimmte Nummern. Er kam so oft zu Besuch, dass er bald zur Familie gerechnet werden konnte. Vielleicht hatte es ihm auch der Jagdkorn angetan, mit dem Karl nicht geizte. Jedenfalls, das Telefon war für Frey Karl eine ewige und ergiebige Quelle des Ärgers.
Doch nun funktionierte der Kasten wiedermal. Frey Karl überwand seinen Abscheu vor dem Apparat und drehte die Kurbel. „Hallo! Amt? — man hört sie kaum, ich möchte mit Nummer 87 sprechen — ja, 87.“ Pause. Er hatte doch dringend mit dem W. Schiller zu sprechen. Herrgott, ist da niemand zu Hause? Das fehlt noch. – Da, es meldet sich jemand. – „Hier Polizei, ja, Polizei Lang.“ „Falsch verbunden—“ „Was ist passiert?– ich komme hin!“ „Falsch verbunden!“ Karl hängt den Hörer ein. Dann kurbelt er wieder. „Amt?“ – „Ja.“ „Ich will W. Schiller sprechen und es meldet sich die Polizei. – Verbinden sie mich mit 87!“ So, nun kommt es rasch. – „Hallo, du, Schiller…“ – „Hier Gaswerk. Bitte, ich verstehe kaum. — wo geht das Gas aus? Ich schicke hin…“ Karl hängt auf – sein Gesicht ist etwas rotblau getönt.
Doch das Gespräch ist dringend. Er hat auch keinen Boten da, den er hinauf in die Frauenstraße schicken könnte. Die Sendung soll fort – der Zug wartet nicht. Zum Schluss verliert er die Kundschaft. Dann an die Konkurrenz, den langen Tielsch!
Er kurbelt wieder. – „Amt? Die 87 geben sie mir, aber rasch!“ Und schon kommt das Gespräch. Sanft und freundlich klingts ihm ins Ohr: „Bitte sehr, womit kann ich dienen?“ -„Wer spricht?“ brüllt Karl in den Trichter. „Hier Spedition Tielsch, der Chef selbst“. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Unter seinem Hütel hervor perlt der Schweiß. Das Hütel hatte er immer auf – auch beim festlichen Anlass des Telefonierens. Aber jetzt greift er doch danach, feuert es in die Ecke. Zwei große Schritte zur Wand, das Gewehr vom Haken, den Hahn aufgezogen. Um Gottes Willen, was will er mit dem Gewehr? Er legt an, Zielscheibe das Telefon. Bautz! Und noch mal Bautz – den zweiten Lauf. Der Kasten hat seine Ladung drin! Die Fensterscheibe kriegt auch was ab, und der Lodenmantel ist ein Sieb! Erbärmlich wie der Telefonkasten aussieht: totgeschossen.
Karl holt sein Hütel aus der Ecke, hängt das Gewehr an den Nagel, spuckt vor der Telefonruine aus und rückt – Gesicht wie der Rächer seiner Ehre – ab in den Schwarzen Stiefel, um Gift und Galle restlos hinunterzuspülen. An dem Abend kam er nicht mehr heim. In den nächsten Tagen, solange die Telefonleute, der Glaser und der Maler in seinem Büro zu tun hatten, war Karl fort. Er hatte jetzt viel auf der Bahn zu tun. Plötzlich. Aber wenn er seinen Bekannten oder seinem Nachbarn – die wohlweislich schwiegen – ins Gesicht sah, und er meinte, irgendwo in den Augen oder um den Mund ein spöttisches Lächeln zu entdecken, dann wurde er ganz scheckig im Gesicht.
An das neue Telefon ging er kaum. Das mussten seine Angestellten besorgen. Er war ohnehin wenig zuhause. Und wenn, dann durfte es ruhig Sturm läuten, er rührte den Kasten nicht an. Erst als die Technik ihm zu Hilfe kam und das mit den Anschlüssen besser klappte, söhnte er sich mit dem Telefon aus. Doch es soll lange gedauert haben.
Aus dem Nachlass von M.U.Dr. Fritz Wenzel, etwas gekürzt und redigiert von Dr. Ulf Wenzel, Regensburg