Im letzten Heimatbrief hatten wir Ihnen von der jüdischen Familie Lederer berichtet, die in Böhmisch-Leipa gelebt hatte. Ignaz Lederer hatte eine Alkoholraffinerie gegründet und diese mit seinen Söhnen zu einem gewinnbringenden, riesigen Unternehmen geführt. Die Firma hatte später in Jungbunzlau ihren Sitz. Nach dem Tod des Firmengründers waren seine Söhne allein für das Unternehmen verantwortlich, bis im Jahr 1938 alles ein jähes Ende nahm.
Es war im Dezember des Jahres 1896. Marianne Lederer betrauerte ihren geliebten Gatten, die Söhne und Töchter ihren treusorgenden Vater Ignaz Lederer, der am 2. Dezember, genau am Tag seiner Goldenen Hochzeit, verstorben war.
Der Gründer der „Jungbunzlauer Spiritus – und Chemischen Fabrik“ hatte von Böhmisch-Leipa aus mit enormem Fleiß ein riesiges Firmenimperium geschaffen, welches er schon vor einigen Jahren in die Hände seiner Söhne gelegt, das Geschehen aber bis zu seinem Ableben mit Interesse verfolgt und beeinflusst hatte.
Sohn Richard, am 12. Dezember 1854 in Böhmisch-Leipa geboren, hatte die Leitung der Fabrik in Jungbunzlau übernommen, nachdem er in Belgien ein Studium der Fachrichtung Gärungstechnik absolviert hatte. Er lebte mit seiner belgischen Gattin und seinen beiden Kindern neben der Fabrik in Jungbunzlau. Bei der Leitung der Firma wurde er unterstützt von seinen in Wien lebenden Brüdern Julius und August.
Wir hatten im letzten Heimatbrief darüber berichtet.
So schien trotz des Verlustes des Vaters alles zum Besten geregelt, als die Familie im Jahr 1900 von einem erneuten Schicksalsschlag getroffen wurde: Richard Lederer verstarb nach kurzer Krankheit völlig unerwartet im Alter von 46 Jahren.
August Lederer, der jüngste Sohn, am 3. Mai 1857 in Böhmisch-Leipa geboren und dort zur Schule gegangen, übernahm jetzt die Leitung des Unternehmens in Jungbunzlau, mit dem er durch seine jahrelange Mitarbeit von Wien aus bereits bestens vertraut war und er trug ab diesem Zeitpunkt die Verantwortung für das gesamte riesige Firmenimperium.
August Lederer 1918 von Egon Schiele
Im Jahr 1892 hatte August Lederer die am 20. Mai 1867 in Budapest geborene Serena Pulitzer geheiratet, eine Tochter aus reichem Haus, zu deren Verwandten der bekannte amerikanische Journalist und Verleger Josef Pulitzer gehörte. Pulitzer war in Amerika zu großem Ansehen und Vermögen gelangt und stiftete den heute noch alljährlich vergebenen Pulitzer Preis.
Serena Pulitzer galt in ihrer Jugend als eine berühmte Schönheit. Die Trauung des Brautpaares fand vor dem Pester Rabbinat statt.
Das wohlhabende Ehepaar wohnte, nein, es „residierte“ in der Wiener Innenstadt, Bartensteingasse 8, gleich neben dem Wiener Rathaus. Einen weiteren Wohnsitz hatte es in Raab (heute Györ, Ungarn), und als Sommerresidenz das sogenannte „Ledererschlössl“ in der Nähe von Wien.
Wir erinnern uns an den Bericht im letzten Heimatbrief, dass die Familie Lederer die heruntergewirtschaftete Raaber Spiritusfabrik erworben und zu einem gewinnträchtigen Unternehmen geführt hatte. Das weitläufige Fabriksgebäude war durch ein schönes Wohnhaus erweitert worden, das 1903 von den Gründern der „Wiener Werkstätten“ Josef Hoffmann und Koloman Moser feudal, aber behaglich eingerichtet worden war.
Der Hauptwohnsitz war aber in der Wiener Bartensteingasse 8, dort wurden dem Ehepaar die Kinder Elisabeth, Erich und Fritz geboren und nach dem Tod Ignaz Lederers wohnte auch seine Witwe Marianne dort. Die Kinder liebten ihre Großmutter, die immer für sie da war und die sie sehr verwöhnte, während ihre Mutter sie eher streng erzog. Die Kinder wuchsen in der gediegenen Atmosphäre eines wohlhabenden Elternhauses auf und waren von erlesenen Kunstschätzen umgeben.
Eine Leidenschaft des Ehepaares Lederer war das Sammeln von Kunstgegenständen, das sie mit enormen finanziellem Aufwand betrieben: ihre Liebe galt italienischen Bronzen, kostbarem Mobiliar und wertvollen Bildern italienischer Maler. Ein Raum der Wiener Wohnung war den Werken des Künstlers Gustav Klimt gewidmet, mit dem die Familie ein freundschaftliches, fast familiäres Verhältnis verband. Es ist nicht überliefert, wie das Ehepaar mit Klimt bekannt geworden war, aber August Lederer gab dem aus bescheidenen Verhältnissen stammenden, aber schon bekannten Wiener Portraitisten den Auftrag, seine Gattin Serena und seine Kinder zu portraitieren.
Serena Lederer von Gustav Klimt
Das Gemälde „Serena Lederer“ (1899) gehört zu Klimts bekanntesten Werken und befindet sich heute im Metropolitan Museum of Art in New York. Das wunderschöne Bild „Die Lederer Kinder“ entstand 1903. Als eines der schönsten Gemälde wird das 1914 fertig gestellte Bild der Tochter Elisabeth bezeichnet, die inzwischen zu einer Schönheit heran gewachsen war. Es befindet sich heute in Privatbesitz in New York.
Insbesondere Serena Lederer schätzte die Gemälde von Gustav Klimt. Das Ehepaar förderte den Künstler, half ihm aus mancher finanziellen Schwierigkeit und es kaufte auch das Hauptwerk Klimts, den 24 m langen Beethovenfries, den Klimt 1902 für eine Ausstellung in der Wiener Sezession angefertigt hatte.
Bald besaßen sie die bedeutendste Klimt-Sammlung ihrer Zeit.
Frau Lederer hatte das Fotografieren in ihren Wohnungen nicht erlaubt, so können wir leider keinen Einblick in das Privatleben der Familie gewinnen.
Gustav Klimt verkehrte oft im Hause Lederer und speiste wöchentlich mit der Familie. So erfuhr er vom 15jährigen Sohn Erich, dass es sein großer Wunsch sei, von Egon Schiele portraitiert zu werden, nachdem ihm die liebe Großmutter einmal Geld geschenkt hatte, um sich einen Wunsch erfüllen zu können. Klimt hatte das künstlerische Talent des jungen Egon Schiele bereits erkannt und so empfahl er ihn neidlos den Eltern.
Es spricht für den Kunstsinn des Ehepaares Lederer, dass es den 19jährigen, nicht gerade gut beleumundeten und völlig mittellosen Egon Schiele zum Weihnachtsfest 1912 nach Raab einlud, damit ihn ihr Sohn kennenlernen und Schiele Skizzen für das Bildnis anfertigen konnte. Zwischen dem 19jährigen Egon Schiele und dem 15jährigen Erich Lederer begann in Raab eine enge Freundschaft, die 6 Jahre lang, bis zum Tod Schieles halten sollte. Erich und seine Eltern kauften viele Zeichnungen von Schiele und sie trugen dazu bei, dass der Künstler fortan materiell besser gestellt war und ein zwar bescheidenes, aber schöneres Leben führen konnte.
Elisabeth Lederer 1913 von Egon Schiele
Im Jahr 1913 fertigte Egon Schiele auch ein Portrait von Erichs schöner Schwester Elisabeth an, das wir Ihnen gerne zeigen wollen.
Im Jahr 1918 verstarben die beiden Künstler Gustav Klimt und Egon Schiele, was bei der befreundeten Familie Lederer tiefe Trauer auslöste. Erich Lederer hat bis zu seinem Tod 1985 Bilder und Zeichnungen von Egon Schiele gesammelt und sich für das Werk des Künstlers eingesetzt, auch wenn dieses in der Kunstwelt, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, nicht immer wohlwollend aufgenommen wurde. Er konnte es aber noch miterleben, dass die Schiele Bilder eine neue Wertigkeit erhielten und zu Preisen gehandelt wurden, von denen Egon Schiele hätte nur träumen können.
Wie aber war es der Firma „Jungbunzlauer“ inzwischen ergangen?
August Lederer hatte 1901 die noch von seinem Vater gegründete Aktiengesellschaft von Prag nach Wien verlegt und gleichzeitig das Aktienkapital auf einen Gesamtbetrag von 2.969.000 Kronen erhöht. Die finanziellen Verhältnisse ließen es zu, dass er noch eine weitere Spiritusbrennerei in Pernhofen, einem kleinen Ort in Niederösterreich an der tschechischen Grenze, erwerben konnte.
August Lederer hatte also nicht nur mehrere Firmen zu verwalten, sondern er verfügte auch über ein riesiges Vermögen, das er durch kluge Investitionen und neue Geschäftsideen noch vergrößern konnte.
Nach dem Zerfall der Habsburg Monarchie wurde August Lederer aufgefordert, den Sitz und die Leitung der Aktiengesellschaft auf das Territorium der Tschechoslowakei zu verlegen. Er beschloss daraufhin, auf dem Gebiet der ?SR eine eigene Aktiengesellschaft zu gründen und die „Spiritus- und chemische Fabrik“ in Jungbunzlau in diese neue AG zu überführen. So gelang es, dass das Gesamtunternehmen der „Jungbunzlauer“ weiterhin von ihm von Wien aus kontrolliert werden konnte.
Am 30. April 1936 verstarb August Lederer, bereits 79 Jahre alt, nach einem arbeitsreichen und verantwortungsvollen Leben in Wien. Der Sohn seines Bruders Julius, Hans Lederer, übernahm daraufhin die Leitung der Aktiengesellschaft.
Aber schon zwei Jahre später, nach dem Anschluss Österreichs an Hitler – Deutschland, kam es für die jüdische Familie Lederer zur Katastrophe: Der Konzern „Jungbunzlauer AG“ wurde von den Nationalsozialisten enteignet und zerschlagen, sämtliches Familieneigentum wurde beschlagnahmt. Hans Lederer und sein in Böhmisch – Leipa geborener Vater Julius, bereits 85 Jahre alt, wurden noch 1938 in ein Konzentrationslager gebracht und fanden dort den Tod.
Alle Familienangehörigen wurden enteignet, gedemütigt und bedroht.
So ließ sich der Wiener Brauereibesitzer Baron Wolfgang von Bachofen – Echt 1938 sofort von seiner Gattin Elisabeth, geb. Lederer, scheiden, da plötzlich einem „arischen“ Mann eine jüdische Frau nicht zugemutet werden konnte. Sämtliches in die Ehe eingebrachte Vermögen von Elisabeth wurde ihrem „arischen“ Mann zugesprochen, sie stand völlig mittellos da. Um ihr Überleben zu sichern, behauptete Elisabeth jetzt, dass sie einer außerehelichen Beziehung ihrer Mutter Serena mit dem „arischen“ Künstler Gustav Klimt entstamme und es gelang ihr tatsächlich, einen „Abstammungsbescheid“ zu erwirken, der sie zur „Halbjüdin“ werden ließ. Mit diesem Bescheid floh sie sofort nach Budapest, wo sie ihre Mutter bereits erwartete.
Serena Lederer, nach dem Tod ihres Gatten auf sich allein gestellt, wurde 1938 enteignet und alle ihre Kunstschätze wurden von den Nazis sichergestellt, „wegen Gefahr einer verbotswidrigen Ausfuhr“, wie es im Bescheid hieß. Da sie ungarische Staatsbürgerin war, floh sie nach Budapest, wohin ihr Elisabeth 1940 folgte. Aus einem Brief Elisabeths an ihren Bruder Erich wissen wir, dass die beiden Frauen ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Habseligkeiten bestreiten mussten und dass die Mutter krank geworden war. Serena Lederer starb dann auch am 27. März 1943 in Budapest, die Tochter Elisabeth am 19. Oktober 1944 in Wien.
Die Brüder Erich und Fritz konnten 1938 ins Ausland fliehen. Erich Lederer floh mit seiner Gattin Marianne nach Genf und lebte dort bis zu seinem Tod 1985. Das Ehepaar Lederer hatte seinen Sohn Erich, der ein großer Kunstkenner war, zum testamentarischen Universalerben bestimmt. Nach dem Ende des Krieges setzte er sich aufgrund seines Testamentes für eine Restitution des Vermögens seiner Eltern und seiner Schiele-Sammlung ein, was sich als ein fast unlösbares Unterfangen erwies. Die von den Nazis in ein Schloss in Niederösterreich ausgelagerte Klimt Sammlung der Familie Lederer war verbrannt, nachdem am 8. Mai 1945 abziehende deutsche Truppen das Schloss in Brand gesteckt hatten; andere Kunstwerke waren nicht mehr auffindbar und einige schienen in Galerien oder bei Auktionen auf, die nach Aussagen der Besitzer rechtmäßig erworben worden waren.
Im Internet kann man nachlesen, dass erst 1999 einzelne Schiele Blätter an die Erben nach Erich Lederer zurück gegeben wurden, die Verfahren aber bis heute nicht abgeschlossen sind.
Und wie ging es mit der „Jungbunzlauer“ ab 1945 weiter?
Im November 1945 verhängte die Tschechoslowakische Regierung die Nationalverwaltung über die Firma und im September 1946 wurden dann die „Jungbunzlauer Spiritusbetriebe“ mit Sitz in Mladá Boleslav (Jungbunzlau) als Nationalunternehmen gegründet. Es folgten im Laufe der Jahre mehrere Umstrukturierungen und Zusammenlegungen verschiedenster Unternehmen, bis 1991 die „Lihovar a Octárna“ in Mlada Boleslav als neues selbständiges Unternehmen entstand.
In Österreich lebt der Name „Jungbunzlauer AG“ in Pernhofen in Niederösterreich, ca 2 km von der tschechischen Grenze entfernt, weiter. Nach erfolgreicher Sanierung ist die Firma ein modernes Unternehmen der chemischen Industrie und produziert heute hauptsächlich Zitronensäure. Die Firma gehört zur Jundbunzlauer Holding AG, die ihren Sitz in der Schweiz hat.
In Pernhofen, direkt neben der „Jungbunzlauer“, befindet sich das Denkmal der vertriebenen Südmährer aus der Heimatgemeinde Erdberg, der Vorfahren meines Mannes. Wenn wir das Denkmal wieder besuchen, werde ich die Firma mit ganz anderen Augen betrachten, nachdem ich weiß, dass sie ein junger, tatkräftiger und fleißiger Mann vor fast 155 Jahren in einem Hinterhof von Böhmisch-Leipa gegründet hat.
Ingeborg Buchner-Hocke, Wien
Quellen:
M. Nebehay: Gustav Klimt, Egon Schiele und die Familie Lederer, Wien.
Milan Hlavacka: Ignatz Lederer und seine „Jungbunzlauer“, Alkoholerzeugung in Böhmen, Prag.
Internet: Jungbunzlauer; Gustav Klimt; Egon Schiele; Serena Lederer; August Lederer.
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