Heute wollen wir von einem alten Handwerk erzählen, das fast in Vergessenheit geraten ist – das Handwerk der Zinngießer. Im Heimatmuseum von Böhmisch Leipa kann man die vielen schönen und edlen Gegenstände aus Zinn betrachten, die vor langer Zeit in dieser Stadt hergestellt wurden. Bevor wir uns mit den Leipaer Zinngießern beschäftigen, wollen wir erkunden, wo das Zinn, welches die Zinngießer verarbeiteten, gefördert wurde.
Wir begeben uns dazu auf einen Ausflug ins Egerland in die Stadt Schlaggenwald, heute Horní Slavkov, und ins böhmische Erzgebirge, in die Stadt Graupen, die heute Krupka heißt.
Schlaggenwald
Schlaggenwald liegt in einem Talkessel im Kaiserwald in der Nähe von Falkenau an der Eger und der ehemals kleine Ort wurde um das Jahr 1300 durch seine reichen Zinnvorkommen bekannt. Wegen seiner rasch anwachsenden Einwohner, die in den Zinnminen arbeiteten, wurde Schlaggenwald 1300 zur Stadt erhoben, im Jahr 1547 durch Kaiser Ferdinand I. dann zur „kaiserlichen freien Bergstadt“. In Schlaggenwald wurde ein besonders hochwertiges Zinn gefördert, das in viele Länder exportiert wurde. Auch Zinngießer waren bereits um diese Zeit in Schlaggenwald tätig.
Der Reichtum der Stadt führte zum Bau einer einzigartigen Innenstadt im reinen Renaissancestil und einem besonders prächtigen Rathaus; auf alten Fotos kann man sich die Schönheit der Stadt noch vor Augen führen.
Im Laufe der Jahrzehnte kam es in Schlaggenwald durch Kriegseinwirkungen und andere schwerwiegende Ereignisse zu einem Auf und Ab der Zinnproduktion und auch ein Verfall der Preise ließ die Zinnförderung zurückgehen. Bereits im 19. Jahrhundert hatte die Porzellanherstellung in Schlaggenwald den Ruhm als Bergbaustadt verdrängt. Bis heute wird in Schlaggenwald hochwertiges Porzellan hergestellt.
Nachdem nach dem zweiten Weltkrieg die deutschen Bewohner ihren Heimatort verlassen mussten, hat die schöne Stadt Schlaggenwald ab 1950 ein völlig neues Gesicht bekommen. Die Zinngewinnung wurde durch einen großzügigen Ausbau der Förderanlagen wiederbelebt und durch die Ansiedlung neuer Bewohner für die Arbeit in den Minen errichtete man nördlich der Altstadt einen neuen Stadtteil im sozialistischen Einheitsstil. Dabei kam es zum Abriss großer Teile der historischen Bauten und ein Teil dieser einzigartigen Stadt ging unwiederbringlich verloren. Auch das herrliche Rathaus fiel einem Brand zum Opfer und wurde letztlich abgerissen.
Die Zinn- und Erzförderung wurde bis 1991 fortgesetzt, auch wurden zwischenzeitlich im „Geheimen“ Uranerze gefördert. Alle diesbezüglichen Arbeiten wurden aber 1991 eingestellt.
Bergstadt Graupen
Die alte Bergstadt Graupen liegt in einem engen Tal im böhmischen Erzgebirge, nur ein paar Kilometer von Teplitz – Schönau entfernt. Sie war einst das Zentrum des Zinnbergbaus in Nordböhmen. Es ist überliefert, dass die ersten Zinnfunde bereits vor dem 13. Jahrhundert erfolgt sind und die Stadt daraufhin bis ins 16. Jahrhundert eine einmalige Blütezeit erlebte. Dass die kleine Stadt sehr reich gewesen ist, kann man noch heute an dem historischen Stadtzentrum mit den Gebäuden aus der Gotik und Renaissance erkennen und an den fünf großen Kirchen, von denen die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt aus dem 14. Jahrhundert besonders eindrucksvoll herausragt.
In einem heutigen Ortsteil von Graupen wurde dann in den Jahren 1701 bis 1708 die barocke Basilika Mariaschein erbaut, die der sehenswerteste Sakralbau in ganz Böhmen gewesen sein soll. Die Marienwallfahrten nach Mariaschein begannen gleich nach der Fertigstellung und Einweihung dieser großen Kirche. Heute noch kommen einmal im Jahr Wallfahrer aus der sorbischen Lausitz in diese berühmte Wallfahrtskirche.
Kommen wir zurück zur Zinngewinnung und in das Jahr 1300. Die reiche Bergstadt Graupen verfügte über einen 2 km langen Zinn führenden Erzgang, er war der längste dieser Art in Böhmen. Da war es nur natürlich, dass man sich entschlossen hatte, eine große Befestigungsanlage, die Burg Graupen, zu errichten, um die Zinnbergwerke und den alten Handelsweg nach Sachsen zu schützen. Die Burg wurde mehrfach durch Kriege und Brände zerstört und irgendwann nicht wieder vollständig aufgebaut. Sie verfiel im Laufe der Zeit und heute ist sie ein beliebtes Ausflugsziel und ein Teil des 40 km langen grenzüberschreitenden Bergbaulehrpfades zwischen Tschechien und Sachsen. Er beginnt in Graupen (Krupka) und führt über Altenberg, Geising und Zinnwald im sächsischen Osterzgebirge und Böhmisch Zinnwald (Cinovec) wieder zurück nach Graupen. An 70 Stationen kann man die Geschichte des einstmals bedeutendsten Zinnbergbaureviers in Mitteleuropa erfahren.
Nachdem der Zinnabbau durch wachsende Konkurrenz und einen Preisverfall zurückgegangen war, hatte man mit dem Abbau von Braunkohle begonnen und im Jahr 1956 wurde der Bergbau in Graupen dann überhaupt eingestellt.
Zinngießer in Böhmisch Leipa
Da wir uns jetzt ein Bild von zwei bekannten Zinnförderstätten in Böhmen machen konnten, kehren wir nach Böhmisch Leipa zurück.
Die folgenden Ausführungen habe ich einer Arbeit aus dem Jahr 1937 entnommen, die der damalige Kurator des Leipaer Museums, Herr Karl Bondy, veröffentlicht hatte. Im Jahr 2011 hatte im Leipaer eine Ausstellung über Arbeiten der Zinngießer stattgefunden, die Herr Jaroslav Panáček gestaltet hatte. Seinem umfangreichen Ausstellungskatalog, der eine deutsche Zusammenfassung enthält, konnte ich entnehmen, dass er sich auch auf die Arbeit Karl Bondys bezogen hat, da sie als einzige Arbeit auf diesem Gebiet zur Verfügung steht. Durch eigene Arbeiten im Heimatmuseum konnten die Ausführungen von 1937 ergänzt werden, sodass ein Überblick über die Zinngießer in Leipa von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert nachgewiesen werden konnten.
Die ersten urkundlichen Aufzeichnungen stammen aus dem frühen 16. Jahrhundert; sie belegen, dass es in Leipa bereits damals sogenannte „Löffler“ gab, das waren Löffelgießer, deren Handwerk eng mit denen der Zinngießer verwandt ist. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden schon Namen von Zinngießermeistern bekannt, die gleichzeitig als Glockengießer tätig waren. Ein Zeugnis der beachtenswerten Handwerkskunst nordböhmischer Meister waren auch die vielen zinnernen Taufbecken, die in böhmischen Kirchen zu finden waren. Besondere Erwähnung fanden in alten Unterlagen der mächtige Taufbrunnen in der Dekanalkirche von Teplitz und zwei Taufbecken eines Leitmeritzer Meisters Thomas in der Stadtkirche von Leitmeritz. Die Größe dieser Arbeiten lassen darauf schließen, dass die Meister mit der Herstellung größerer Objekte – also mit dem Glockenguss – vertraut waren. Einer Urkunde aus den Jahr 1600 ist zu entnehmen, dass zwei Glockengießer aus Leipa eine 6 Zentner schwere Glocke für Quitkau bei Leipa zu liefern hatten. In der Arbeit von Karl Bondy aus dem Jahr 1937 ist aber ausgeführt, dass er damals keine Taufbecken als Arbeit Leipaer Zinngießer nachweisen konnte.
Neben den Taufbecken und Glocken fertigten die Zinngießer auch Zinnsärge für adelige und großbürgerliche Familien an. Diese schweren und reichverzierten Särge waren für die Gruftanlagen dieser Familien bestimmt.
In einem Aufsatz über die alte Kirche St. Peter und Paul in Böhmisch Leipa von P. Johann Nepomuk Willomitzer aus dem Jahr 1859 ist zu lesen, dass nach dem Brand im Jahr 1787 aus dem Schutt der schwer beschädigten Kirche vier Zinnsärge geborgen wurden. In ihnen waren der 1594 verstorbene Johann von Wartenberg, sein 10jähriger Sohn Adam, die 1604 verstorbene Elisabeth von Wartenberg und der im gleichen Jahr verstorbene 8jährige A. J. Wilhelm Berka beigesetzt worden.
Leider wurden die vier geborgenen zinnernen Särge aus der verschlossenen Sakristei gestohlen und waren somit unwiederbringlich verloren. Willomitzer hatte angedeutet, dass diese Zinnsärge wohl von Leipaer Meistern gefertigt worden waren.
Die Leipaer Zinngießer waren – wie andere Handwerker auch – in Zünften organisiert, die in ihren Zunftordnungen genaue Regeln über die Herstellung der Erzeugnisse und deren Kennzeichnung, aber auch Anweisungen enthalten haben, wie sich die „redlichen und untadeligen“ Mitglieder der Zünfte und Innungen zu verhalten haben, wie die Ausbildung von Lehrlingen zu gestalten ist und welche Gebühren zu erlegen sind. Bereits im Jahr 1324 wurden in Prag Zinngießer urkundlich erwähnt und noch im Jahr 1477 wird die Prager Zinngießerzunft als die einzige in Böhmen genannt. Die Leipaer Zinngießer sind dagegen erst in der „Manufaktur- und Commerztabelle“ der Stadt des Jahres 1800 ausdrücklich erwähnt, obwohl schon frühere Arbeiten von Leipaer Löfflern, Kanngießern sowie Zinn- und Glockengießern bekannt waren.
Herr Karl Bondy geht in seiner Arbeit davon aus, dass sich die Leipaer Zunft in ähnlicher Weise entwickelt hat, wie die Zinngießerzünfte in anderen böhmischen Städten. Es war damals üblich, dass kleinere Städte Abschriften von Zunftordnungen größerer Städte einholten und diese dann ihren Verhältnissen angepasst haben.
Vielleicht ist es Herrn Jaroslav Panáček bei seinen Forschungsarbeiten gelungen, eine Zunfturkunde der Leipaer Zinngießer zu finden. Bei meinem nächsten Besuch in Leipa werde ich mich im Museum danach erkundigen.
Die Zunftregeln
In den Prager Zunftregeln wurde bereits im 14. Jahrhundert für das Mischungsverhältnis Blei zu Zinn das Verhältnis 1:10 festgelegt und es wurde von den Meistern strengste Einhaltung dieser Verordnung verlangt. Im Laufe der Jahrzehnte sollen sich jedoch Missstände im Zinngießergewerbe eingeschlichen haben, da durch das ständige Steigen der Zinnpreise die Versuchung groß war, durch größere Bleibeimischungen die Preise des Ausgangsmaterials zu verringern.
Viele Dekrete und Erlässe waren notwendig, um zu große Bleizusätze zu verhindern, offensichtlich aber ohne durchschlagenden Erfolg. So wurde im Jahr 1773 eine Verordnung erlassen, die für die „gesamten deutschen Erbländer“ jeglichen Bleizusatz verboten hat, „zumal […] im besagten Bleye durch den Gebrauch des Geschirrs sich auflösender sogenannter kristalliner Bleyzucker der menschlichen Gesundheit äußerst schädlich ist […].
Das unvermischte Schlaggenwalder Zinn wurde jetzt als Schlaggenwalder „SW Fein Zinn“ bezeichnet, das übrige böhmische Zinn als „Fein Zinn“.
Die im Jahr 1732 überarbeiteten Zunftregeln der Zinngießer legten auch fest, dass die Arbeiten mit dem Stadt- und Musterzeichen zu versehen sind, wobei das Musterzeichen den Tauf- und Familiennamen des Meisters zu enthalten hat. Ebenso waren auf den Arbeiten Marken und die Qualität des verwendeten Zinns anzugeben.
Diese Kennzeichnungen ermöglichten es Herrn Bondy, ein umfangreiches Verzeichnis der Arbeiten der Leipaer Zinngießer zu erstellen und die einzelnen Erzeugnisse den jeweiligen Zinngießern zuzuordnen. Herr Panáček hat dieses Verzeichnis noch ergänzen können und er schreibt im Ausstellungskatalog, dass er 37 Zinngießer seit Beginn des 15. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts hat nachweisen können. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts haben von 25 Zinngießern 17 zu vier in Leipa ansässigen Familien gehört: Elbel (6), Lutz (4) Bartel (3) und Prinke (4). Anton Prinke, geboren 1857, verstorben 1925, war der letzte Leipaer Zinngießermeister.
Der Sohn von Anton Prinke, Rudolf Josef Prinke, geboren in Böhmisch Leipa am 14. September 1883, war zuerst Zinngießergehilfe und später ebenfalls Zinngießer. Nach dem ersten Weltkrieg waren die Nachkommen von Anton Prinke nicht mehr als Zinngießer beschäftigt.
Die Leipaer Zinngießermeister hatten sich offensichtlich in ganz Nordböhmen einen besonderen Ruf in der Herstellung von Zunftgegenständen erworben. Alle Zünfte, wie die der Bäcker, Schuster, Schlosser, Wagner, Hufschmiede, Tuchmacher usw. hatten sich reich verzierte und gravierte Teller anfertigen lassen, die die Zunftstuben schmückten oder außerordentlich schöne Zunftkannen, die auch als Trinkkannen reichlich in Gebrauch waren.
Als ältestes und schönstes Stück wird die Zunftkanne (Schleifkanne) der Leipaer Bäcker- und Pfefferküchler aus dem Jahr 1672 bezeichnet, die dem Zinngießermeister Balthasar Elbel d. Ältere zugeschrieben wird. Die Kanne ist 60 cm hoch, wiegt 15 kg und fasst ein böhmisches Maßfässchen, das sind 11,46 Liter. Diese mächtige Kanne hat einen Ablasshahn aus Messing unterhalb des Henkels, sie wäre sonst nicht zu bewältigen. Auf dem schönen Deckel der Kanne sitzt ein Löwe, der in seinen Pranken ein Schild mit den eingravierten Insignien der Bäcker und Pfefferküchler hält.
Diese und noch viele weitere hervorragende Arbeiten Leipaer Zinngießer besitzt das Heimatkundemuseum in Böhmisch Leipa, wobei die Trinkkannen der Zünfte am Stärksten vertreten sind.
Derzeit ist das Museum wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und die Zinngegenstände sind gut verpackt und wohlverwahrt in einem Depot. Das Foto zeigt das Deckblatt des Ausstellungskataloges mit der Zunftkanne der Bäcker- und Pfefferküchler aus dem Jahr 1672.
Quellen: Karl Bondy: Das alte Zinngießerhandwerk in B. Leipa (1937)
www.graupen.de
www.schlaggenwald.de
Jaroslav Panáček: Ausstellungskatalog